Interview Marianne

Interview Marianne

„Am meisten hat mich das unterschiedliche Feedback der Menschen motiviert, dranzubleiben und weiterzumachen.”

2020 gründete Marianne gemeinsam mit ihrer Tochter Sabine MARI & ANNE. Ihre Vision ist es, natürliche unisex Produkte ohne viel Schnick Schnack anzubieten und dabei Sabines Schwester und ihre Tochter Marina (1987 mit dem Down-Syndrom geboren) einen sichtbaren und inklusiven Platz in ihrer Mitte zu schaffen.

Im Interview mit Marianne erfährst du u. a., was hinter der Gründung von MARI & ANNE steckt, wie aus einer Idee ein fertiges Produkt wird und was Sahneschnitte und Co. so besonders machen.

Marianne, du bist gelernte Krankenschwester und hast in den 90er Jahren begonnen, dich mit Naturkosmetik auseinanderzusetzen. Wie kam es dazu?

Angefangen hat alles damit, dass meine Tochter Sabine 2006 eine Periorale Dermatitis bekommen hat. Leider verschreiben viele Hautärzt*innen in der Regel erst einmal kortisonhaltige Mittel, die allerdings nur kurzfristig helfen. Natürlich wird die Haut durch das Kortison für ein oder zwei Tage etwas besser, aber gleichzeitig auch dünner und letztlich schlägt es dann ins Gegenteil um und die Haut reagiert mit einem weiteren Schub. Die Ursache wird durch Kortison nicht bekämpft.

Als Sabine nach vielen Besuchen bei Ärzt*innen herausgefunden hat, dass es sich bei ihr um eine Periorale Dermatitis handelt, eine Überpflegung der Haut, war klar, weniger ist mehr. Viele der Produkte, die wir heute im Drogeriemarkt finden, haben nicht die gewünschte Wirkung, die durch das Marketing  kommuniziert wird. Das hat mich als gelernte Krankenschwester neugierig gemacht und ich habe mich in die Thematik eingelesen und informiert. Früher gab es viele Salben oder Medikamente noch gar nicht, die heute auf dem Markt sind. Ich erinnerte mich bei den Rezepturen meiner Produkte an meine Kindheit. Von meiner Großmutter kannte ich zum Beispiel die Ringelblumensalbe, eine Wund- und Heilsalbe, die sie selbst hergestellt und angerührt hat.

Ich habe mit der Herstellung erster Produkte begonnen und diese auf Märkten in und um Unterfranken verkauft. Vorrangig Seifen, die ich im Kaltrührverfahren hergestellt habe. Die Ringelblumensalbe habe ich damals zweitrangig gesehen, weil ich mich im Rühren von Salben auch erstmal ausprobieren wollte. Ich habe schnell gemerkt, dass sie bei Jung und Alt sehr gut ankam. Die Menschen, die sie getestet haben, waren begeistert von der Konsistenz und dem Geruch. Ich war selbst überrascht von der entzündungshemmenden Wirkung der Ringelblume. So bekam ich die ersten Kund*innen, die immer wieder auf mich zukamen und mir von der heilenden Wirkung der Salbe berichtet haben. Das hat mich sehr beeindruckt und ich wollte, dass möglichst viele Menschen diese Erfahrung machen können.

Zusätzlich zu den Märkten habe ich damals angefangen, meine Produkte online zu verkaufen und sie ca. zwei Jahre in der eigenen heimischen Seifenküche angerührt. Erst viele Jahre später wurde aus meinen Produkten, gemeinsam mit Sabine, MARI & ANNE. Alle Produkte enthalten nun kaltgepresstes Traubenkernöl aus Franken, sind wasserfrei und somit ohne Konservierungsmittel hergestellt und unisex einsetzbar.

Mein Wunsch war, eine Marke aufzubauen, die an die Lebenshilfe weitergegeben werden kann. Nach anfänglichen Versuchen, gemeinsam mit den Werkstätten zu produzieren, mussten wir leider feststellen, dass es so nicht möglich ist. 2021 haben wir uns daher entschieden, eigene Räumlichkeiten anzumieten, in denen wir unsere Produkte per Hand herstellen und auch von dort versenden. Das Schöne dabei ist, dass wir Marina damit einen Außenarbeitsplatz in unserer Mitte schaffen konnten, der ihr die Möglichkeit gibt, sie individuell zu fördern.

Was war zum damaligen Zeitpunkt dein größter Antrieb?

Nachdem ich vier Kinder großgezogen hatte, wollte ich unbedingt etwas für mich machen. Es war mir wichtig, dass meine eigenen Erinnerungen und die dazugehörigen Geschichten nicht verloren gehen und auch meine Tochter Marina davon profitieren kann.

In meinem Hauptjob als Krankenschwester habe ich bei meinen Dialysepatienten, die als Begleitsymptom oft an ihren Füßen erkrankt sind, gesehen, wie immens wichtig die Hautpflege ist. Auch hier hat die Ringelblume hervorragende Dienste geleistet. Wir können die alte Haut nicht jünger machen, aber unsere Haut hat ein Langzeitgedächtnis und wir können sie sanft dabei unterstützen, ihre natürliche Barriere zu bewahren. Dieses Wissen, das wir heutzutage über die Haut haben, lässt sich sehr gut nutzen.

Wie hast du dich damals über das Thema informiert?

Zu Beginn habe ich mich viel bei Hildegard von Bingen belesen und im Bayerischen Rundfunk eine Sendung über Kräuter verfolgt. Mich hat es fasziniert, dass man bei Naturprodukten im Vergleich zu den chemischen Salben zwar Einschränkungen in Bezug auf die Konservierungsstoffe hatte, aber genau darin auch der Nutzen dieser Produkte lag. In unseren Produkten ist z. B. 100 % Rohstoff und kein Wasser, was wiederum bedeutet, dass kleine Mengen ausreichen, die Produkte sehr ergiebig sind und die Inhaltsstoffe ihre volle Wirkung entfalten können.

Welche Inhaltsstoffe hatten deine ersten hergestellten Salben und Seifen und warum?

Meine ersten hergestellten Seifen waren z. B. mit Lavendel oder reinen Ringelblumenblüten. Die mit Lavendel wurden allerdings grau an den Seiten, was nicht so schön ausgesehen hat. Das war mir damals nicht wichtig, denn zu diesem Zeitpunkt ging es mir darum, zu prüfen, ob meine Seifen bei Hautproblemen helfen. Solange die entsprechenden Stoffe die Hautbarriere erhalten, kann nichts kommen, das die Haut von außen schädigen kann. Durch die Beigabe von Tensiden wird z. B. sehr viel Wirkung weggenommen und die Talgschicht zerstört. Bei den Seifen habe ich das Kaltrührverfahrenangewendet und musste darauf achten, dass sie nach der Herstellung immer noch Feuchtigkeit abgeben und eine lange Lagerungszeit benötigen. Olivenölseife muss beispielsweise ca. sieben Monate gelagert werden. Darüber hinaus habe ich vor MARI & ANNE auch eine Aleppo-, und eine Kaffeeseife angeboten. Am Ende hatte ich ca. zehn/zwölf Sorten, die alle zertifiziert waren. Mit MARI & ANNE habe ich einige der Inhaltsstoffe reduziert und angepasst und auch die Form meiner Seifen verändert. Wir haben alle Rezepturen auf Traubenkernöl umgestellt, da uns die Regionalität und auch die Wertigkeit des Öls sehr wichtig waren. Zusätzlich haben wir weder Konservierer noch Stabilisatoren verwendet, was die Produkte sehr ergiebig, aber gleichzeitig auch etwas anfälliger für z. B. Kristallbildung im Winter machte. Nach und nach kamen auch noch andere Öle hinzu, deren Substanzen und Säuren ganz unterschiedlich auf die Haut wirken.

Naturkosmetik von MARI & ANNE ist tierversuchsfrei und von Hand hergestellt. Wie testest du, ob die verwendeten Inhaltsstoffe verträglich für die Haut sind?

Die ganze Thematik rund um Zertifizierungen und Tests – das sind große Schlagworte in der Naturkosmetik. Dabei wird über die Kosmetikverordnung sehr viel geregelt und genau geprüft, was in einem Produkt enthalten ist, damit es der Haut nicht schadet. Bei uns gilt außerdem: Hände weg von allen schädlichen Stoffen. Wenn auf diese verzichtet wird, ist das Produkt im Grunde für 90 % der Menschen gut verträglich, ausgeschlossen sind immer Menschen, die unter bestimmten Allergien leiden.

Die hergestellten Produkte teste ich vorab an mir selbst und sende sie an weitere Testpersonen unterschiedlicher Hauttypen. Danach passe ich das Produkt je nach Feedback nochmal an, bevor es dann schlussendlich in die Sicherheitsbewertung und Zertifizierung geht. Wir bilden uns stetig weiter, um auf dem neuesten Stand zu bleiben und haben beispielsweise mit der Zeit gelernt, dass bei jugendlichen Dermatosen auch verschiedene Öle oder Ölsäuren sehr gute Ergebnisse zeigen und die Haut nicht unbedingt immer ausgetrocknet werden muss.

Was Begrifflichkeiten wie “Parabene” oder “tierversuchsfrei” angeht, sollte meiner Meinung nach mehr Aufklärung stattfinden. Das ist in der Kosmetikindustrie für den/die Endverbraucher*in oftmals mit einem Irrtum verbunden. Hier solltest du dich zu den verschiedenen Stoffen immer genau belesen.

Welche Stationen durchläuft ein Produkt bei MARI & ANNE, bevor es auf den Markt kommt?

Jedes Produkt, das wir zertifizieren lassen, kostet mehrere hundert Euro. Bei den Zertifizierungen ist jeder Schritt vorgegeben und in Brüssel gespeichert, sodass auch entsprechende Ämter Zugriff darauf haben und beurteilen können, ob alles richtig gemeldet wurde.

Zu Beginn stellen wir die einzelnen Inhaltsstoffe eines neuen Produkts zusammen. Hierbei achten wir auf einen roten Faden. Das bedeutet, dass wir so wenig Inhaltsstoffe wie nötig verwenden, um den größtmöglichen Nutzen für die Haut zu erzielen. Die Kosmetikverordnung gibt uns genau vor, wie viel Gramm Duftstoff z. B. in einem Produkt fürs Gesicht enthalten sein darf. Es ist alles bis ins kleinste Detail beschrieben und vorgegeben. Zusätzlich führen wir zwischendurch Kontrollen durch, um ein unseren Ansprüchen gerecht werdendes Produkt anbieten zu können.

Erst wenn die Sicherheitsbewertung abgeschlossen ist, stehen die sogenannten INCIs (Inhaltsstoffe) und deren Menge genau fest. Danach geht es an die Verpackung und das Design der Produkte. Diese entstehen auch direkt bei uns. Zu guter Letzt werden die einzelnen Gläser und Tiegel dann bei uns in Handarbeit produziert, abgefüllt, konfektioniert und für den Versand fertig gemacht.

Ich stelle es mir sehr schwer vor, für die Vielzahl unterschiedlicher Hauttypen Rezepturen zu finden, die für (fast) alle geeignet sind. Wie bist du dabei vorgegangen?

Am meisten hat mich das unterschiedliche Feedback der Menschen motiviert, dranzubleiben und weiterzumachen. Der Nachbarsjunge, dessen Neurodermitis gelindert werden konnte, ältere Herren, die sich über geschmeidige Hände freuten, meine Tochter, die mit den natürlichen Inhaltsstoffen ihre Periorale Dermatitis bekämpfen konnte. Aber auch Feedbacks, die mir gezeigt haben, dass nicht jede Haut alles gleichermaßen gut verträgt und manche z. B. allergisch auf ätherische Öle reagieren, haben mir sehr dabei geholfen, Inhaltsstoffe nochmal anzupassen. Deshalb haben wir von vielen Produkten auch immer eine Sensitiv-Variante ohne ätherisches Öl angefertigt, um auch allen sensiblen Hauttypen sowie werdenden Müttern, Babys und Kindern die Möglichkeit zu geben, von den wertvollen Inhaltsstoffen zu profitieren.

Was sind deine Wünsche für die Zukunft, besonders auch in Bezug auf Marina und ihren Außenarbeitsplatz bei euch?

Ich bin sehr dankbar, dass wir für Marina seit dem 1.12.2021 einen Außenarbeitsplatz bei MARI & ANNE stellen konnten. Es ist noch ein langer Weg, bis auch diese Möglichkeit in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt mehr ausgeschöpft wird, so sehen wir jeden Tag an ihr, dass es die beste Entscheidung war und ihr Freude und Selbstbewusstsein gibt. Marina profitiert von den unterschiedlichen Menschen und Persönlichkeiten bei MARI & ANNE, die nicht zur direkten Familie gehören. Sie lernt viel Neues, wird individuell gefördert und spürt, dass sie zum Team gehört.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir ihren Außenarbeitsplatz in einen reinen Inklusivarbeitsplatz unabhängig von den Werkstätten umwandeln können. Ich wünsche mir, dass wir weiter wachsen dürfen und noch zwei bis drei weitere Außenarbeitsplätze schaffen können, die es uns ermöglichen, weitere Menschen mit Down-Syndrom individuell zu fördern.

Vielen Dank für das tolle Gespräch, Marianne!